Montag, 29. April 2013

Ommmmmmm oder gemeinsam einsam


„Ihr müsst jetzt eine Woche Urlaub nehmen von Eurer Beziehung“, erklärt uns Walter, „nicht miteinander sprechen und möglichst auch jeden Augenkontakt vermeiden“.

Walter ist einer der Instruktoren am Dipabhavan Meditation Center auf Koh Samui, wo wir die bislang ruhigste Woche auf unserer Reise verbringen werden. Bei unseren Begegnungen in Südostasien haben wir so viel von Meditation gehört, dass wir es selber auch einmal ausprobieren wollten.



Wir schauen an Walter vorbei und sehen, wo wir uns gerade befinden: im Dschungel, hoch auf einem Berg mit spektakulärer Aussicht auf Wälder, die Küste und das azurblaue Meer. Wir entscheiden, dass dies der richtige Ort ist, stimmen Walter zu und gehen nun also auseinander.

In getrennten Schlafräumen werden wir die nächste Woche verbringen, unser Zuhause wird sich auf eine Holzbox von ca. 1.50 x 2 Metern beschränken; ein Mückennetz, eine dünne Strohmatte und ein kleiner Holzblock als „Kissen“.



Wir werden jeden Morgen vor 5 Uhr aufstehen, nach 12 Uhr mittags nichts mehr essen und die Tage mit Meditation im Sitzen, im Stehen oder im Gehen verbringen. Zudem erhalten wir von einem 81-jährigen Mönch dreimal am Tag Informationen zu Meditation und zur Buddhistischen Lehre und singen während einer dreiviertel Stunde gemeinsam: Wir lernen, dass alles Leiden in unserem Leben davon kommt, dass wir uns an Dingen, Menschen, Status, Ideen und Gedanken festklammern, danach verlangen und dabei unser Ego ganz gross ins Zentrum stellen. Den Zustand des Glücks können wir erreichen, wenn wir uns von diesen Klammern lösen und uns als Teil der Natur betrachten. Dass wir dafür auch verstehen müssen, dass alles, auch wir selber, vergänglich ist und dass wir mit einem wachen Geist im hier und jetzt leben sollten. Meditation und Mindfulness können uns dabei unterstützen.

Dong, die Glocke klingelt, das Retreat beginnt.

Tag 1:
I: Wir stehen um 4:30 auf, um 5 sitzen wir in der Meditationshalle. Ein Mönch erzählt uns von der „World at 5am“, der schönsten Stunde am Tag – ich muss schmunzeln und denke an Nina, die Langschläferin.

N: Mit dem ersten Glockenschlag bin ich hellwach. Die Nacht auf dem Holzbrett habe ich tief geschlafen – lag das am aufblasbaren Kopfkissen, das ich mir als kleinen Luxus mit hinein geschmuggelt habe? Mit geschlossenen Augen sitze ich in der Meditationshalle und lausche dem schönen Morgentext. Bei der ersten Meditation höre ich den erwachenden Tieren zu… ein wahres Dschungelkonzert. Mein Körper ist schwer und ich fühle mich leicht zugleich. Schlafe ich etwa noch oder ist das Meditation?



I: Wir lernen zu gehen: rechter Fuss heben, rechter Fuss nach vorne, rechter Fuss absetzen. Linker Fuss heben, linker Fuss nach vorne, linker Fuss absetzen. Alle stehen auf und üben es – ich muss an die Zombies im „Thriller“ Musikvideo denken.

N: Walking Meditation – einen Schritt vor den anderen… wie lustig das aussieht. Ich muss mich sehr zusammennehmen, das Schweigen nicht durch prustendes Lachen zu stören. Lauter Störche um mich herum.



Tag 2:
I: Jeden Tag starten wir mit einer Stunde Yoga um den Körper fürs lange Sitzen zu lockern. Darauf freue ich mich, ich freue mich auch auf den Instruktor. Ich verstehe ihn zwar kaum, denn er ist Schotte – aber ich denke an Edinburgh, die Orkney Islands und Lagavulin.

N: Ui, heute Morgen tun mir alle Knochen weh! Ich freue mich sehr aufs Yoga. Und darauf, Ingo zu sehen. Er sieht ganz entspannt aus. Wie es ihm wohl bisher gefällt? Ob er auch den kleinen Affen in den Bäumen gesehen hat? Zu dumm, dass wir nicht miteinander reden können! Kleine Liebeszeichen müssen aber sein – wir stellen unsere Flip Flops jeden Tag nebeneinander ab!

I: Ich zwänge mich in so etwas wie einen Lotus-Sitz, atme ein paar Mal tief und merke plötzlich, wie sich all meine Gedanken auflösen. Ich sehe Farben, spüre Wärme. Sicherlich sitze ich jetzt auch mit einem seligen Lächeln auf der Matte, wie einzelne andere hier, ich weiss es nicht, spüre meinen Körper nicht mehr. Nach ein paar Minuten klingelt die Glocke – jetzt muss ich wieder an meine Beine denken, die verknotet vor mit liegen. Ich brauche ein paar Minuten bis ich wieder stehen kann.

N: Gestern hatte die Meditation ganz gut geklappt und seitdem nicht mehr. Ich sitze und sitze und sitze. Und warte auf den erlösenden Glockenschlag. Wie unendlich lange doch eine halbe Stunde sein kann. Ich rechne im Kopf aus, wie viele Stunden wir noch sitzen werden und versuche den Gedanken danach schnell wieder zu vergessen. Wenn das so einfach wäre.



Tag 3:
I: vor jedem Essen lesen wir gemeinsam eine „Food Reflexion“: „With wise reflexion I eat this food / Not for play, not for intoxication / not for fattening not for beautification / only to maintain this body / to stay alive and healthy / to support the spiritual way of life / thus I let go of unpleasant feelings / and do not stir up new ones / thereby the process of life goes on / blameless, with ease and in peace“. Ich muss an die Trüffel- und Hohrücken-Exzesse denken in einer Loft in Wiedikon. Eigentlich haben die auch schon fast etwas Spirituelles.

N: Findet Ingo das Essen wohl auch so lecker wie ich? Ich finde es so seltsam beim Essen nicht mit den Leuten um mich herum zu sprechen. Es fühlt sich sehr unhöflich an. Andererseits konzentriert man sich so wirklich aufs Essen, isst bewusst und langsam. Allerdings weiss ich jetzt wieder, dass ich es wirklich nicht mag, Essgeräusche zu hören!

I: Ich muss nochmals auf das Thema Essen zurück kommen, denn das schmeckt hier echt lecker. Ich möchte mich eigentlich zurückhalten, damit ich nicht zu müde werde am Nachmittag, aber kann nicht. Ich muss noch zwei weitere Male nachschöpfen. Es gibt heute sehr feines Pilzragout – Ich denke an meinen Vater, den Grand Master of Pilzragout.

Tag 4:
I: Morgens stürmt und regnet es. Danach öffnet sich der Himmel und die ganze Umgebung strahlt noch prächtiger in der Morgensonne als je zuvor – ich denke daran, dass ich künftig am Meer leben möchte.

N: Wie lange die Tage doch sind. Hat es mich am Anfang noch gestresst, keine Uhr zu haben, bin ich nun gelassener und renne in den Pausen nicht mehr herum wie ein eingesperrter Tiger. Haben wir Pause, suche ich mir einen schönen Stuhl mit Sicht auf die wunderschöne Landschaft. Ich blicke auf das Meer, das man ganz weit unten sieht und weiss, dass ich künftig am Meer leben möchte.

I: Wir haben keine Inputs von aussen – keine Zeitungen, Telefone, Internet. Alles spielt sich hier an diesem Ort, in diesem Moment und in dieser kleinen Gruppe ab. Und obschon wir kaum kommunizieren können, gibt es ein paar gruppendynamische Prozesse, Verhalten von einzelnen Personen und meine Reaktion oder mein Befinden darauf, die mich nicht kalt lassen. Es ist wie ein kleines Labor, ich sehe die Muster, die sich dann auch in der „richtigen“ Welt wieder finden. Ich teste verschiedene Gedanken und Ansichten dazu aus und welche Veränderungen sie auslösen und kann so ein paar Learnings für später mitnehmen – ich denke daran, dass ich das gleich nächste Woche im „Labor Indien“ live in Genüge testen kann.

N: Jeder im Retreat hat einen kleinen Job, den er täglich erfüllen muss. Meiner ist Geschirr trocknen nach Frühstück und Mitttagessen. Ich mache das zusammen mit einer anderen Teilnehmerin. Und bin genervt von ihr – denn obwohl wir nicht miteinander reden sollen, macht sie dies. Und motzt mich dazu noch wegen einer Banalität an. Ich antworte mit Schweigen und übe mich den ganzen weiteren Tag darin, mich nicht aufzuregen, sondern ganz gelassen zu sein.



Tag 5:
I: heute haben wir den „Silent Day“, keine Dhamma- oder Meditations-Instruktionen. Wir meditieren von morgens bis abends. Das ist hart. Nachmittags sehe ich, dass es Nina nicht gut geht. Wir können nicht miteinander sprechen, sie schaut weg oder geht mir aus dem Weg. – Hat sie auch solche Nackenschmerzen? Hat sie noch mehr als ich die Nase voll vom Sitzen und Meditieren? Nein, ich bin mir sicher, sie ist sauer auf mich. Ich überlege mir unzählige mögliche Gründe dafür.

N: Am Mittag verschlafe ich eine Stunde Meditation. Hoffentlich macht sich Ingo keine Sorgen! Auf dem Weg zum nachmittäglichen Tee sehe ich den Hund, der zum Retreat gehört. Ich komme auf den Gedanken, mit ihm zu spielen. Ein Fehler. Er beisst mich 2 Mal ins Bein – aua! Soll ich Ingo das sagen oder nicht? Nein, ich möchte ihn nicht beunruhigen und bleibe ganz cool. Ich erkundige mich bei den Organisatoren aber, ob der Hund geimpft ist – und das ist er zum Glück. Dennoch habe ich an dem Tag Angst, wenn ich den Hund von weitem sehe. 
Umso unglaublicher: nachts höre ich plötzlich komische Geräusche unter meinem Bett. Es ist ausgerechnet der Hund, der sich auf dem riesen Gelände den Platz unter meinem Bett als Schlafplatz ausgesucht hat! Mit Mühe schlafe ich in dieser Nacht ein – bis nachts plötzlich etwas neben mich aufs Bett plumpst. Eine Katze! Sie kuschelt sich neben mich und beschützt mich die ganze Nacht.

Tag 6:
I: Die Woche neigt sich dem Ende zu, ich mag nicht mehr meditieren. Die Ruhe ist sehr erholsam, aber ich mag einfach nicht mehr meditieren. Ist es nicht absurd, wie anstrengend es ist, einfach nichts zu tun und vor allem, nichts zu denken? Ich hatte in der Woche auch kein Erlebnis, das mich dazu motivieren könnte, es weiter zu versuchen. Die erfahrenen Meditatoren erklären mir, das sei normal und meistens dauere es 8-9 Tage, bis so ein Erlebnis kommt. Ich höre, was sie sagen, aber ich mag einfach nicht mehr meditieren.

N: Heute ist der letzte Tag. Ich bin erleichtert und freue mich darauf, bald wieder zu sprechen und in einem richtigen Bett zu schlafen. Dennoch gefällt mir der letzte Tag sehr. Wir fahren zu zwei besonderen Orten und meditieren dort: tief im Wald inmitten von Vogelstimmen sitzen wir mit den Mönchen und meditieren; anschliessend fahren wir ans Meer. Ich atme die salzige Luft ein und fühle mich leicht – „I am everything and everything is me“… dieser Satz, den wir in einem Dhamma-Talk gehört haben passt zu dem Gefühl, das ich verspüre. Allerdings hält dieses Gefühl nur ca. 15 Minuten an… dann öffne ich die Augen und will jetzt nicht mehr meditieren, sondern am liebsten ins Meer springen. 
Mit Skepsis beobachte ich die Hunde, die am Strand herum laufen und beschliesse, dass ich keine Angst vor ihnen habe.



Tag 7:
Das Schweigen wird beendet. Wir sprechen mit den Leuten, mit denen wir die ganze letzte Woche gemeinsam verbracht haben – Tag und Nacht, nach Geschlechtern getrennt in einer grossen Halle übernachtet, eng nebeneinander in einer offenen Halle gegessen und den Rest des Tages gemeinsam in der Meditationshalle verbracht haben.

Wir hören deren Stimmen, deren Geschichten, sehen deren Augen. Lachen gemeinsam, führen etwas Small Talk und ein paar tiefere Gespräche. Wir haben uns in dieser Woche von jedem einzelnen ein Bild gemacht und eine Meinung gebildet, ohne überhaupt etwas über die Person zu wissen. Ein paar Worte können das Bild einer Person komplett verändern. Wie wichtig und wertvoll es doch ist, mit den Menschen zu kommunizieren, das wird uns nach dieser Woche Schweigen nochmals ganz besonders klar.



Diese Woche wird uns auf jeden Fall noch lange in Erinnerung bleiben und wir möchten sie nicht gemisst haben. Jetzt sind wir aber doch auch wieder froh, dass dieser „Urlaub“ zu Ende ist, setzen uns zusammen ins Meer, essen Eis und plaudern bis zum Sonnenuntergang. 


2 Kommentare:

  1. Genial! wie ihr das durchgehalten habt und das getrennt geschriebene. Bin ja auch hobby buddhistin:-)

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  2. ;-)... ommmmm... ja, das war ein Abenteuer. Ein stilles, besonderes Abenteuer.

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