Alle stürmen ins Flugzeug. Woher nehmen die Leute nur das
viele Handgepäck her? Nachdem irgendwie alle auf ihrem Platz sitzen, wird es
ruhig. Sehr ruhig. Der Flieger verfällt in einen kollektiven Tiefschlaf,
Sitzreihen werden zu Betten und das Bein des Nachbars zum gemütlichen Kissen.
Auch wir schliessen die Augen und wachen ein paar Stunden später in Indien auf.
Welcome to Kolkata! Was wir nicht wussten: an Bord reisen ausser den
Passagieren mindestens ebenso viele Fernseher mit – wir ahnen: in Indien
warten einige Überraschungen auf uns!
Am Flughafen scheinen sich alle Leute mit ihren Fernsehern
in Luft aufzulösen. Von wegen viele Menschen! Am modernen Flughafen von Kolkata
geht es jedenfalls ohne Hektik zu. Mit dem Flughafenbus fahren wir in die Stadt;
nein – wir rasen in die Stadt! Vorbei an Unmengen gelber Oldtimer-Taxis,
uralten Strassenbahnen, Pilgern die sich auf den Boden werfen und eimerweise
mit Wasser begossen werden. Wir sehen alte Männer, die von Hand die letzten
Handrikschas Indiens ziehen und Frauen in bunten Saris.
Wir kommen an im Hotel und fühlen uns in der Zeit
zurückversetzt. Ein alter, nostalgischer
Lift bringt uns in unser grosses Zimmer mit unglaublich hohen Decken. Morgens
bekommen wir eine Zeitung durch die Tür geschoben; im Erdgeschoss befindet sich
eine gemütliche, schummrige Bar.
Haben eigentlich alle Inder einen Schnauz? Wir glauben,
schon! Und das ist auch gut für die vielen Barbiere, die auf der Strasse
arbeiten und die Schnäuze pflegen und trimmen. Dazu gehört auch Scheitel-nachdunkeln
in schönem Schwarz und eine entspannende Kopfmasssage. Ingo überlegt kurz, ob
er sich barttechnisch anpassen soll, lässt es dann aber doch.
Wir schlendern durch die belebten, aber nicht überfüllten,
Strassen und trinken hier und da einen feinen Chai aus herzigen Tontassen. Wir
kosten feines, frisches Chapati und trinken mehr als ein Lassi.
Schon vom ersten Moment an gefällt uns die Stadt. Auch wenn
sie laut, verrückt und der Verkehr haarsträubend ist. Entgegen unseren
Erwartungen ist die Atmosphäre sehr entspannt: nie werden wir von
aufdringlichen Verkäufern belagert und kaum angebettelt. Mit ihrem Charme,
Lachen, Verrücktheit und Gutmütigkeit schliessen wir die Menschen schnell in
unser Herz!
Auffällig ist, dass es eine breite Mittelschicht gibt; halb
Kolkata spielt Cricket im Park vor dem Victoria Memorial; wohlhabende Inderinnen
trainieren mit Personal Trainer. Und wo man hin schaut sieht man wunderschöne
alte Gebäude, teils verfallen, teils sehr gepflegt. Aber ja: man sieht auch, dass
es bettelarme Leute gibt. Auf einem Pappkarton leben sie am Strassenrand; ganze
Familien leben so. Jeder einzelne tut uns leid. Einem schlafenden Mann, der in
alten PET-Flaschen Wassertropfen sammelt, kaufen wir Wasser und stellen es ihm
hin. Ob er sich freut, wenn er aufwacht?
Am zweiten Abend besuchen wir einen bekannten Hindu-Tempel. Unsere
Kirchen können einpacken, was Verrücktheit, Musik-Lautstärke, Gerüche und
Farben angeht. Es ist alles andere als still besinnlich. Es ist voller
Menschen. Sie singen laut und vollziehen uns rätselhafte Rituale. In dunklen,
tiefen Hauseingängen fällt unser Blick auf alte, heilige Männer. Es ist wie in
1001 Nacht!
Die Tage vergehen schnell. Und wir können uns kaum satt sehen
und werden bombardiert mit Eindrücken. Wir laufen im Schneckentempo durch die
Stadt. Gut, dass es in Indien für uns noch weiter geht – mit dem Nachtzug
fahren wir nach Varanasi!
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